Österreich is(s)t arm
Eine Stellungnahme der Tafel Österreich anlässlich der am 2.5. von der Gesundheit Österreich GmbH veröffentlichten Zahlen zur Ernährungsarmut in Österreich
Heute, am 2. Mai 2024, wurden von der Gesundes Österreich GmbH Studienergebnisse zur Ernährungsarmut in Österreich vorgestellt. Die wichtigsten Ergebnisse im Detail zeigen:
- 12 % (1,1 Millionen Österreicher:innen) sind von moderater bis schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen, 4,6 % (420.000 Personen) davon schwer.
- 12,9 % der befragten Personen haben Sorge, dass ihre Kinder nicht genug zu essen haben.
- 3 % leiden unter sozialer Ernährungsarmut, d.h. sie sind von sozialer Teilhabe (in Form von Essenseinladungen von Freunden nach Hause, Restaurantbesuchen, …) ausgeschlossen.
- Besonders betroffen sind Personen mit schlechtem Gesundheitszustand, geringer Ausbildung, Arbeitslose, Einpersonenhaushalte und Familien.
Aus Sicht der Tafel Österreich ist diese Studie prinzipiell sehr zu begrüßen, da sie erstmals genauer auch in Österreich auf den Bereich schaut, der uns tagtäglich beschäftigt und auf den wir seit Jahren immer wieder hinweisen. Gab es bisher aus den Daten der Statistik Austria und der jährlichen Studie der FAO (Food and Agricultural Organisation) erste Anhaltspunkte, dass rund 400.000 Personen von mittlerer bis schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen sind, nimmt die nun vorliegende Studie erstmals den Themenkomplex ganz genau unter die Lupe und zeigt auf, dass rund jede zehnte Person in Österreich darunter leidet und die Ausprägungen sehr unterschiedliche Formen annimmt – es beginnt bei der Ungewissheit, ob bzw. welche Lebensmittel man besorgen kann und endet bei der Tatsache, bei der Qualität der Nahrung sparen oder Mahlzeiten ganz auslassen zu müssen.
Solche Zustände sind in einem so reichen Land wie Österreich schlichtweg untragbar – geht es doch um so einen zentral wichtigen Bereich wie die Ernährung, die uns alle angeht und so maßgeblich für gesunde Lebensjahre ist! Gerade bei den Menschen, die wir als Tafel Österreich versorgen, handelt es sich großteils um Menschen, die von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit betroffen sind und die überproportional oft an chronischen Erkrankungen leiden. Bei diesen Menschen spielt eine gesunde und ausgewogene Ernährung eine noch wichtigere Rolle im Kampf aus der Armutsspirale. Denn Armut und Krankheit hängen oft zusammen und bedingen einander. Die Studie zeigt, was wir auch immer in der Praxis sehen, dass nämlich v. a. gesunde Lebensmittel wie frisches Obst und Gemüse für armutsbetroffene Menschen nicht leistbar sind, obwohl – auch das zeigt die Studie – Menschen sehr genau wissen, dass gerade diese Bestandteile für eine gesunde und ausgewogene Ernährung so wichtig sind und sie sich wünschen, gesündere Produkte kaufen zu können. Da das unterste Einkommensdezil überproportional mehr Geld vom gesamten Haushaltseinkommen für Ernährung ausgibt, als das oberste (19,5 % vs. 7 %), wird die Ungleichheit damit noch verschärft.
Noch weniger tragbar sind diese Zustände, wenn wir bedenken, dass noch immer ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen wird. Dies ist aus sozialen, ökonomischen, aber auch ökologischen Gründen ein völlig inakzeptables Faktum. Denn wenn wir es schaffen würden – wie in den SDGs gefordert –, die Lebensmittelverschwendung zu halbieren, könnten wir es uns erlauben, 15-20 % weniger Lebensmittel zu produzieren und gleichzeitig signifikant Treibhausgasemissionen einzusparen. Es ist also dringend angesagt, auf dem Weg zu einem nachhaltigeren und gesünderen Ernährungssystem auch den Lebensmittelabfällen entlang der gesamten Wertschöpfungskette konsequent von allen Akteur:innen den Kampf anzusagen.
Um Wege aus der Ernährungsarmut zu finden, wurden von Expert:innen als Antwort auf die heute publizierte Studie zahlreiche Vorschläge erarbeitet: So wurde u. a. eine kostenlose gesunde und nachhaltige Verpflegung in allen Bildungs- und Sozialeinrichtungen ebenso genannt wie der Einsatz von EU-Agrar- und Strukturmitteln für die Steuerung hin zu einem nachhaltigen Lebensmittel- und Ernährungssystem. Auch dem Aufbau von Lebensmittel- und Ernährungskompetenz, v. a. im Schulsetting, sollte mehr Stellenwert eingeräumt werden.
Diesen Forderungen können wir uns nur anschließen und möchten diese um folgende Punkte ergänzen:
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- Die Halbierung der Lebensmittelabfälle sollte entlang der gesamten Wertschöpfungskette und gemäß der SDGs bis 2030 im Fokus stehen, denn dadurch wären wir einem klimafreundlichen und nachhaltigen Ernährungssystem einen großen Schritt näher.
- Die Mobilisierung vorhandener Lebensmittelüberschüsse (wie gesundes Obst und Gemüse) aus der Landwirtschaft zur kostenfreien Versorgung armutsbetroffener Menschen, so wie wir es als Tafel Österreich seit längerem in Kooperation mit sozialen Einrichtungen praktizieren, sollte im öffentlichen Interesse sein und durch die öffentliche Hand finanziert werden.
- Ernährung ist eine so wichtige Querschnittsmaterie, die zwischen vielen Ministerien beheimatet ist. Es braucht einen stärkeren Schulterschluss für dieses so wichtige Thema. Die neu geschaffene Kompetenzzentrum Lebensmittelkette der AGES, Servicestelle für nachhaltige Lebensmittel- und Ernährungssysteme, ist dafür ein guter Beginn. Es wäre aus unserer Sicht aber dringend an der Zeit, ein eigenes Ministerium für Ernährung zu schaffen.